Mittlerweile lebe ich seit zwei Wochen alkoholfrei und damit ist es nun langsam an der Zeit für ein erstes Zwischenfazit. Auch wenn das in diesem Fall – Achtung, überstrapaziertes Wortspiel incoming – ernüchternd und ein wenig unspektakulär ausfällt, denn ich muss sagen, dass mir die Alkoholabstinenz bisher sogar noch leichter als die Fleischabstinenz fällt. Ein paar Erkenntnisse und unerwartete Entdeckungen hat mir der Alkoholverzicht dennoch bereits eingebracht – lasset mich euch auf den neuesten Stand bringen.
Schnapsgedanken und andere Nebenwirkungen
Wenn man sich bewusst dazu entschließt, über einen bestimmten Zeitraum hinweg komplett auf Alkohol zu verzichten, kommt man im Zuge dessen nicht umhin, sich auch ein paar generelle Gedanken über den eigenen Alkoholkonsum zu machen. Nüchtern betrachtet (sorry, den konnte ich mir nicht verkneifen) würde ich sagen, dass ich im mehr oder minder gesunden Mittelmaß liege – auch wenn es bis dahin ein langer und steiniger Weg war. Mit ca. 14 Jahren haben wir noch alle fleißig die Grenzen ausgetestet, sie naturgegeben regelmäßig überschritten und dabei nur selten etwas für das nächste Mal dazugelernt – wie auch, mit immensem Filmriss? Mit 18 Jahren hatte der Alkohol dann seinen jugendlich-illegalen Reiz erstmal verloren, außerdem war man ja nun erstmal monatelang damit beschäftigt die ausufernden 20 Seiten Stoff für das Geschichtsabitur auswendig zu lernen. Nach einer mindestens ebenso ausufernden Abifahrt nach Calella – dem gleichzeitigen Höhepunkt und Tiefpunkt unser aller Alkoholismus – wurde dann eine neue und sehr viel erwachsenere Phase des Alkoholkonsums eingeläutet: das Genusstrinken.
Wein und Bier schmeckten auf einmal tatsächlich und waren nicht länger einzig und allein dazu da, den King auf dem Pausenhof zu markieren. Auch hatte man, so frisch ausgezogen und studentisch unabhängig, plötzlich alle Freiheiten, Zeit und Geld, um dem feuchtfröhlichen Spaß zu frönen – zumindest in der Theorie, wenn man sich nicht gerade die Money(lose)-Metropole München als Studiendomizil ausgesucht hätte. Wenn ich also sage, dass 30 Tage Alkoholabstinenz für mich durchaus eine Herausforderung darstellen, dann bezieht sich das nicht auf das Trinken per se. Es sind viel mehr die gesellschaftlichen Zusammenkünfte, Events und Konventionen, die mit einer spritzigen Rhabarberschorle zwar zweifellos auch Spaß machen – mit einem spritzigen Spritz aber eben noch ein kleines bisschen mehr.
Folgen der Alkoholabstinenz: Die Substituentensuche
Es galt also in erster Linie einen geeigneten Substituenten für den Alkohol während meiner Alkoholabstinenz zu finden. Auch das erscheint euch jetzt auf den ersten Blick vielleicht als klassisches Sucht- bzw. Entzugsverhalten. Aber nein, damit liegt ihr völlig falsch. Dabei handelt es sich vielmehr um, wie ich es nenne, klassisches Chefkoch-Verhalten. Habt ihr euch schon mal auf chefkoch.de ein Rezept durchgelesen, wart euch in einem Punkt nicht ganz sicher (Was ist eigentlich diese ominöse Mehlschwitze, von der er da immer schreibt?) und habt dann den fatalen Fehler begangen, euch die Kommentarspalte durchzulesen? Sodom und Gommorah herrscht da, das kann ich euch sagen.
Offensichtlich kann heute niemand mehr ein Rezept einfach befolgen, ohne nicht seinen ganz eigenen Senf dazuzugeben – manchmal sogar wortwörtlich. “Super Rezept, total schmackofatzig, 5 Sterne. Ich hab nur die Äpfel durch Birnen ersetzt und die Sahne durch ‘Cremefine super leicht’, hat keiner gemerkt und hat allen super geschmeckt, hihi”. “Echt ganz tolles Rezept dein Kartoffelauflauf mit extra viel Kartoffeln und Kartoffelpüree als Beilage. Hab ich gleich nachgekocht und war innerhalb von fünf Minuten ratzeputz aufgefuttert, mein GöGa war vom KaPü total begeistert. Sogar mein Kleiner hat alles aufgegessen obwohl er eigentlich gar keine Kartoffeln mag. Ich hab nur eine Kleinigkeit geändert, und zwar hab ich einfach alle Kartoffeln durch Zucchini ersetzt. Sonst hab ich mich aber komplett an dein Rezept gehalten, kann ich voll empfehlen”.
Das Chefkoch-Phänomen (Defintion frei nach Anso): Das dringende Bedürfnis, irgendetwas völlig unnötigerweise durch etwas ganz anderes zu ersetzen – bevorzugt durch Zucchini.
Auch mich hat also das Bedürfnis ereilt, die Alkohollücke durch etwas zu schließen bzw. zu ersetzen. Nein, nicht durch Zucchini. Mein Substituent heißt Speiseeis. Nicht nur, weil sich in unserem Gefrierfach zufälligerweise Unmengen davon befinden, sondern auch, weil bei unserem monatlichen Pubquiz die übliche Schnaps-Schätzrunde (das Team, das eine Schätzfrage richtig beantwortet, gewinnt eine Schnapsrunde) im Juni erstmals durch eine Eis-Schätzrunde ersetzt wurde und wir das erste Mal eine solche gewonnen haben. Hitze, Eis, läuft bei uns – und das wortwörtlich. 😉
Neuentdeckung des Monats: Der Sonntagvormittag
Die größte Neuentdeckung, die mir mein alkoholfreier Monat bisher eingebracht hat, ist überraschenderweise weder alkoholfreies Bier (bäh!) noch die Tatsache, dass man “auch ohne Alkohol Spaß haben kann” (2 Euro ins Phrasenschwein bitte, meine Urgroßeltern hätten gerne ihre Erkenntnis zurück). Nein, die gravierendste Neuentdeckung – besser gesagt Wiederentdeckung -, die mir die Alkoholabstinenz beschert hat, ist eindeutig der Sonntagvormittag. In Kindertagen wurde der Sonntagvormittag noch wertgeschätzt, um frühmorgens endlich ungestört dem schon damals geliebten, wenngleich elterlich verbotenen Trash-TV zu frönen, um wenig später zu Teenager- und Pubertätszeiten einen akuten Absturz auf der Beliebtheitsskala zu erleiden und zugunsten des langen Schlafes jahrelang fast gänzlich ignoriert zu werden. Fortan musste der Sonntagvormittag bis in die frühen Erwachsenenjahre hinein ein trauriges Dasein als verkaterter und damit vollkommen unbrauchbarer Tagesabschnitt fristen, der zwar ein kurzes Revival in den frühen Zwanzigern erlebte, als zweimal Feiern pro Wochenende auf einmal zu anstrengend wurde und Samstagabende nach erfolgreicher Freitagsfeierei meist mit verkaterten Spieleabenden verbracht wurden und Sonntagvormittage entsprechend frisch und frei genutzt werden konnten, der aber bereits Mitte der Zwanziger wieder komplett in der Versenkung verschwand als die Phase des Auskaterns auf einmal auf mindestens zwei, wenn nicht drei, Tage erhöht wurde und man an Sonntagvormittagen entsprechend noch von der Freitagsfeierei völlig flach lag.
Mir ist bewusst, dass der vorangegangene Satz ein Schachtelsatz des Grauens ist. Wer am Ball geblieben ist (Ahh stop it, jetzt auch noch ein EM-Wortspiel?!) und damit einer der wenigen Auserkorenen ist, die sich erfolgreich bis zu diesem Punkt des Blogeintrags durchgekämpft haben (Survival of the Schachtelsatz wenn man so will, klassischer Grammatik-Darwinismus), der hat es verdient zu erfahren, was ich mit all der neuen sonntagvormittaglichen Zeit so angefangen habe – Frühschoppen war es ja offensichtlich nicht. Nein, die Alkoholabstinenz hat mir in erster Linie sonntagvormittagliche LANGEWEILE eingehandelt. Was macht man an Sonntagvormittagen, wenn nicht verkatert rumschloppen oder verschloppt rumkatern? Vor allem bei deutschlandüblichem Sieben-Tage-Regenwetter? Ich habe keine Ahnung. Absolut keine Ahnung. Das herauszufinden, wird die eigentliche Challenge für meinen restlichen alkoholfreien Juni werden. I’ll keep you posted.